Hugh Nibleys Fußnoten

Hugh Nibleys Fußnoten

Von Ronald V. Huggins, Dr. der Theologie

Mitprofessor für theologische & historische Studien

Theologisches Seminar am Salt Lake

(übersetzt von Manfred Trzoska)

 

In ihrem Buch Leaving the Saints: How I Lost the Mormons and Found My Faith (2005), beschreibt Martha Beck eine Begegnung, die sie mit einer gelehrt aussehenden Person in einem Supermarkt hatte, die ihren berühmten Vater, den Inbegrif eines HLT-Apologeten Hugh Winder Nibley, anklagt ein Lügner zu sein. Als Martha den Mann (sie nannte ihn Tweedy) um eine Erklärung bittet, sagt er, dass er als „einer der Lakaien“ arbeitete, „die seine Fußnoten überprüften“, und dass er dabei entdeckte, dass die meisten (vorsichtig geschätzt 90% von ihnen)1 Schwindel2 waren:

 

Manchmal war das, was er [Nibley] sagte, genau das Gegenteil von dem, was der Autor meinte. Manchmal gab es eine Zitierung, auf die seine Fußnote verwies, einfach gar nicht. Mein Teamleiter erzählte mir, dass die Gabe Ihres Vaters darin bestand, dass er alles auf jeder Seite sehen konnte, was dort sein sollte.

 

Diese Anschuldigung schmeichelt im Vergleich zu Becks viel verheerender Behauptung, nämlich, dass ihr Vater sie sexuell missbrauchte, als sie ein Kind war. Schon bald nach dem Erscheinen von Leaving the Saints begann man verteidigende Stimmen zu hören, die versuchten Hugh Nibleys Schuld in Bezug auf diese Anschuldigung zu rechtfertigen, indem sie auf die nach ihrer Vorstellung leicht beweisbaren Absurdität von „Tweedys“ Behauptung über die Fußnoten zeigten. So finden wir zum Beispiel Robert L. Millets Bemerkung in Rezension für das evangelische Magazin Books & Culture, dass das „Problem für Beck natürlich darin besteht, dass die Bücher noch gedruckt werden, immer noch zur Untersuchung erhältlich... Ferner kenne ich persönlich viele, wenn nicht alle dieser Quellenprüfer; sie sind hervorragende Akademiker von solchen BYU-Abteilungen wie Antike Schriften, Asiatische und Nahöstliche Sprachen, das Gesetz, die Bibliothek, Englisch und Klassik.“3 Jedoch wenn Tweedy in irgendeinem Sinne in Bezug auf die Fußnoten Recht hätte, hört das „Problem“ auf, eines von Beck zu sein und es wird Millets Problem und das seiner gelehrten Quellenprüfer.4 Dann entstünde die Frage: Warum versagten all diese „hervorragenden Akademiker“ darin, entweder die Probleme wahr zu nehmen oder (wie Tweedy behauptet) sie Nibley mitzuteilen?

 

Beachten Sie, dass bedauerlich auch etwas, was man Doppelzüngigkeit nennen könnte, in dem steckt, was Millet sagt. Einerseits scheint Millet zu sagen, dass Nibleys Fußnoten allesamt gut seien. Er kennt alle Überprüfer und sie sind allesamt „hervorragende Akademiker“ und dennoch sagt er auch über die Fußnoten: „Wenn sie nicht richtig überprüft wären... so können sie heute überprüft werden.“ Aber was auf Erden bedeutet das? „Wenn sie nicht richtig überprüft wurden“ von all diesen „hervorragenden Akademikern“, waren sie dann nach allem wirklich hervorragende Akademiker? Oder vielleicht sollten wir annehmen, dass sie in der Zwischenzeit hervorragend geworden sind. Dennoch hatte das Thema nie etwas mit der Überprüfung der Fußnoten zu tun, sondern mit der ursprünglichen Erstellung.

 

In seiner Rezension von Leaving the Saints bemerkte Boyd Jay Petersen, Hugh Nibleys Schwiegersohn und Biograph und Schwager zu Martha Beck, dass er „mit vielen dieser Fußnotenüberprüfer und Herausgeber der Gesammelten Werke Hugh Nibleys Kontakt aufgenommen“ hat und dass sie alle bestätigen, dass Hugh, während er schlampig gewesen ist – zuweilen einen Text falsch übersetzte oder seine Sache übertrieb – seine Quellen nicht aus der Luft greift.“5 Petersen hat Recht, wenn er sagt, dass Nibley keine Quellen erfindet. In seiner Rezension liefert Millet den falschen Eindruck, als er Tweedy so darstellt, dass „gute 90 Prozent seiner Fußnoten total erfunden sind“.6 Tweedy hatte dies nie wirklich behauptet. Obwohl Beck Tweedy tatsächlich so darstellt, dass er sagte, dass Nibley „sie alle erfindet“7, wird es deutlich, wenn man weiter liest, dass Tweedy nicht sagt, dass Nibley seine Quellen erfand, sondern dass er sie nur regelmäßig auf verschiedene Weise falsch darstellte. Und in der Tat ist das mit Sicherheit wahr.

 

Gab es Tweedy? Gewisse Mormonengelehrte treten sehr zuversichtlich mit der Behauptung auf, dass es ihn nicht gab. Kent P. Jackson erklärt klar: „Ich glaube nicht, dass der Mann in Tweed je existierte“,8 und John Gee erklärt in einer E-Mail an mich: „...so wie ich mir sicher bin, dass sie wissen, dass Mrs. Becks Bericht über Tweedy gänzlich erdichtet ist.“9

 

Was Professor Gee auch persönlich glauben mag, so irrt er sich, wenn er mir ein Wissen darüber andichtet, dass Tweedy „gänzlich erdichtet“ ist. Sicher, Tweedy könnte erfunden sein, aber wenn es so wäre, dann war er gut erfunden. Wenn er wiedergibt wie sein „Teamleiter“ sagte, dass Hugh Nibley „alles auf irgendeiner Seite sehen konnte, was dort gebraucht würde“, so dachte ich, dass dies die Situation sehr gut beschreibt, zumindest als die verbitterte Übertreibung von jemandem, der ständig mit solcher Art von Dingen zu tun hat, wie ich sie unten beschreibe.10 Vielmehr noch, wenn Tweedy nicht existierte, woher erfuhr Martha Beck, dass es ernsthafte Probleme mit dem Umgang ihres Vaters mit seinen Quellen gab? In einem Sinne spielt es immer noch nicht wirklich eine Rolle, ob Tweedy existierte oder nicht. Worauf es ankommt, ist, ob das, was Martha Beck ihm berichtete, in irgendeiner Weise wahr ist, was etwas ist, das man überprüfen kann, wie Kent P. Jackson es richtiger Weise aufzeigt: „Nibleys Bücher existieren immer noch und somit sind die Fußnoten immer noch zugänglich, so dass sie von jedem untersucht werden können, der sich die Zeit nehmen möchte.“11

 

1998 kritisierte derselbe Kent P. Jackson Nibley scharf in einer Rezension über Old Testament and Related Studies des letzteren. In jener Rezension beschuldigte Jackson Nibley, „selektiv das einzubeziehen, was in seine Vorstellungen passt, und das zu ignorieren, was nicht passt“ und „Dinge in den Quellen zu sehen, die einfach nicht dort hin zu gehören scheinen“. Jackson klagt weiter an, dass „die verwirrendsten Behauptungen undokumentiert oder nicht überzeugend dokumentiert bleiben, sogar in jenen Artikeln, die stark mit Fußnoten versehen sind“, und dass Nibley „oft seine sekundären Quellen in gleicher Weise benutzt wie seine primären Quellen, indem er Phrasen aus dem Kontext reißt, um Punkte zu unterstützen, mit denen diejenigen, die er zitiert, wahrscheinlich nicht einverstanden wären“.12 Obwohl Jackson irgendwie mit einer einsamen Stimme sprach, waren seine Kritiken an Nibley nicht weniger gerechtfertigt.

 

Nibleys Missbrauch von Quellen geht so weit, dass er Dinge in ihnen sah, die nicht da sind. Er ändert regelmäßig seine Zitierungen, um sie künstlich so aussehen zu lassen, als würden sie die Argumente, die er versucht vorzubringen, unterstützen. Er übersetzte sie manchmal falsch, wie Petersen anmerkt, oder übersetzt sie anderweitig auf sehr merkwürdige und ungerechtfertigte Weise. Um dies zu verteidigen, bietet er seinen Lesern heulend unangemessene Rechtfertigungen dafür, wenn er überhaupt etwas bietet. In einem Beispiel ersetzt er eine Zeile in seiner Quelle mit einer, die er selbst erdichtete, und dies an einer Stelle, wo seine Quelle seinem Argument, und was er erfand, um es zu unterstützen, entgegen stand (dies ist natürlich besonders abscheulich).13 Er lässt auch regelmäßig Wörter aus, mit dem Ergebnis, dass Passagen, die nichts mit seinem Standpunkt zu tun haben, plötzlich so erscheinen, als unterstützen sie ihn. Keines meiner Beispiele hat mit berechtigten Lesarten der Quellen zu tun, die mehr einer mormonischen Weltanschauung zusagen als einer traditionellen christlichen Weltanschauung. Jeder wird zugeben, oder sollte wenigstens dazu bereit sein, dass Gelehrte jeder Coleur sich manchmal für eine mögliche Stufe legitimer Übersetzungen oder Auslegungen einer Passage entscheiden, die ihrem eigenen Standpunkt am ehesten zusagt. Aber das worüber ich hier spreche, geht weit darüber hinaus.

 

Oft sind Nibleys Abänderungen ziemlich umfassend und raffiniert; in der Tat für mich zu raffiniert, um mich wohl dabei zu fühlen, sie nur der Schlampigkeit zuzurechnen, wie Petersen es tut. Diese Raffiniertheit wird, so denke ich, in den meisten nachfolgenden Falschzitierungen offensichtlich. Um es kurz zu fassen benutze ich den Begriff „Falschzitierung“, was Falschdarstellung in jeder Hinsicht bedeuten, z. B. durch Hinzufügen zu oder Wegnehmen von einer Passage, um damit zu behaupten, dass es etwas anderes bedeutet, als es aussagt, durch Herauslesen von Dingen oder Falschübersetzung.

 

Bevor wir weiter fortfahren, sollte betont werden, dass die gegenwärtige Arbeit von nur einem Aspekt von Nibleys langer Kariere handelt. Sie geht nicht auf andere positivere Aspekte ein, wie die Generationen von Studenten, die durch seine Lehren inspiriert wurden, von denen ohne Zweifel viele nach dem Abschluss die Arbeit selbst weiter verfolgten, in der Hoffnung in seine Fußstapfen treten zu können. Außerdem war er ungeheuer wichtig in Bezug darauf, Interesse bei der akademischen Gemeinschaft der HLT am Studium antiker Texte und Sprachen zu wecken. Es gibt ganz positive Entwicklungen, außer da, wo Nibleys Missbrauch der Quellen genauso wetteifert, wie man ihn manchmal in Material vorfindet, das von gewissen übereifrigen HLT-Apologeten produziert wurde.14

 

Nibley war auch ein sehr begabter und inspirierender Mitteilender, der, wenn er nicht in die Position gebracht wurde, das Unhaltbare zu verteidigen, einen klaren und lebhaften Schreibstil hatte, eine Gabe, die wir genauso bei mehr als einem seiner hochbegabten Kinder als erwiesen vorfinden. Auf jeden Fall steht Hugh Nibley als ein Riese bei der Entfaltung der Geschichte Utahs und des Mormonismus da.

 

Schließlich zu seiner Verteidigung – Nibley schrieb nicht in einem Vakuum. All die Jahre schrieb er für ein Publikum, das ebenfalls einiges von der Verantwortung für die Probleme tragen muss, die ich erörtern werde. Sicher haben wir alle eine Verantwortung innerhalb des Spielraums unserer Fähigkeiten, die Behauptungen des Autors zu überprüfen, selbst wenn (vielleicht sogar besonders wenn) sie Dinge sagen, die wir gerne glauben, und natürlich erkennen, dass in diesem besonderen Fall Nibley selbst es für das allgemeine Volk sehr schwierig machte, seine Quellen zu überprüfen, indem er unbekannte Ausgaben in anderen Sprachen anstatt die allgemein verfügbaren und oft mehr auf den neuesten Stand gebrachten und zuverlässigen englischen anführte.

 

Um meine Untersuchung von Nibleys Falschzitierungen leichter nachvollziehbar zu machen, werde ich durchweg die problematischen Wörter und Phrasen in Nibleys Passagen, die ich erörtere, in Fettschrift setzen.

 
Fußnoten

[1] Martha Beck, Leaving the Saints: How I Lost the Mormons and Found My Faith (New York: Crown, 2005) 165.

 

[2] Ebd. S. 166.

 

[3] Robert L. Millet, „'They Leave It, But They Can't Leave It Alone' The Memoir of a Disaffected Mormon“, [„'Sie verlassen sie, aber sie können sie nicht in Ruhe lassen' Die Memoiren eines unzufriedenen Mormonen“] Books & Culture 11.4 (Juli/Aug. 2005) 33. Die Tatsache, dass Robert L. Millet gebeten wurde, Martha Becks Buch für die evangelikale Publikation Books & Culture zu rezensieren, war äußerst unglücklich. Die Tatsache, dass Martha Becks Chronik wahr sein könnte, ich sage wahr sein könnte, macht es für Evangelikale vollkommen unpassend, eine Rezension von einem Mormonenapologeten zu veröffentlichen, der auf Grund dessen, was er ist, nur versuchen kann, Becks Geschichte unglaubwürdig zu machen, selbst, wenn sie zufällig wahr wäre.

 

[4] Obwohl es zweifelhaft ist, könnte gegen die Überprüfer von Nibleys Quellen ein Fall gemacht, da sie für das Anbringen seiner Fußnoten verantwortlich sind.

 

[5] http://www.fairlds.org/Reviews/Rvw200504.html

 

[6] Millet, „'They Leave It, But They Can't Leave It Alone'“, S. 33.

 

[7] Beck, Leaving the Saints, S. 165.

 

[8] Email von Kent P. Jackson (6. Juli 2006).

 

[9] Email von John Gee (12. Juli 2006).

 

[10] Martha Beck, Leaving the Saints, S. 166.

 

[11] Kent P. Jackson, „Leaving the Facts and the Faith“, FARMS Review of Books 17.1 (2005) 119.

 

[12] Kent P. Jackson, „Review of Hugh Nibley, Old Testament and Related Studies (The Collected Works of Hugh Nibley 1; ed. by John W. Welch, Gary P. Gillum und Don E. Norton; Salt Lake City: Deseret Book // Foundation for Ancient Research & Mormon Studies, 1986)“, BYU Studies 28.4 (1988) 115-17 (Infobase-Ausgabe)

 

[13] Siehe das Beispiel auf Seite 12 dieses Newsletters.

 

[14] Siehe zum Beispiel John Gees sehr gezwungene und besonders verteidigende Übersetzung der Phrase tas systaseis tas archontikas in Ignatius von Antiochias Trallianer 5 als „die grundsätzlichen Offenbarungen“ (John Gee, „The Corruption of Scripture in Early Christianity“ in Early Christians in Disarray: Contemporary LSD Perspectives on the Great Apostasy [herausg. Von Noel B. Reynolds; Provo, Utah: Foundation for Ancient Research & Mormon Studies and Brigham Young University Press, 2005] 167), eher als Bart D. Ehrmans „hierarchies of the cosmic rulers“ (The Apostolic Fathers [Loeb Classical Library 24-25; 2 Bde.; Cambridge und London: harvard University Press, 2003] 1:261). Ich würde Gee einladen, ein Beispiel eines einzigen michtmormonischen Gelehrten oder in irgendeiner Sprache anzuführen, das seine Übersetzung hier unterstützt (einschließlich der beiden Gelehrten, die er als Unterstützung in einer Fußnote zitiert). Vielleicht kann ich ihm helfen, den Anfang zu finden, indem ich präsentiere, wie mehrere verschiedene Ausgaben von Ignatius' Trallianer, die mir zufällig gerade zur Verfügung stehen, diese Worte übersetzen – Wake: „ihre verschiedenen Kompanien unter ihren jeweiligen Fürsten“, Kirsopp Lake: „Sammlungen von Fürstentümern“, Richardson: „das Aufgebot von Fürstentümern“, Roberts-Donaldson: „ihre Sammlungen unter ihren jeweiligen Fürsten“, Kleist: „die Hierarchie der Fürstentümer“, Goodspeed: „die Beziehungen ihrer Regenten“, Lightfoot: „die Versammlungen, Musterungen der himmlischen Regenten“, Lightfoot/Harmer: „die Hierarchie der Fürstentümer“, Schoedel: „die archontischen Formationen“, Staniforth: „Anordnungen der himmlischen Mächte“. Eine beliebte spanische Übersetzung lautet „los ordenes de los principados“, eine beliebte deutsche: „die Rangordnung der Herrschaften“ und eine beliebte französische: „les armèes des principautès“. A Greek Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature (BAGD 3.) stimmt all diesen zu, indem es systasis in Ignatius' Trallianer 5 übersetzt: „eine Gruppe mit gemeinsamen Interessen, Sammlung, Vereinigung, Gemeinschaften“, und archontikos mit „Versammlungen der (himmlischen) Gebieter“, wie G. W. H. Lampes A Patristic Greek Lexicon, das systasis für die Passage mit „Versammlung, Heer von engelhaften Wesen“ und archontikas mit „zu den Regenten gehörig, d. h. zur Hierarchie der Engel“.

 

Ob Gee bei seinen Studien direkt von Hugh Nibley inspiriert war oder nicht, seine merkwürdige Übersetzung erinnert uns an das, was Nibley selbst mit derselben Passage tat. Nibley übersetzte Ignatius' tas systaseis tas archontikas mit dem sehr mormonischen Klang „Räte des Himmels“ (buchst. Versammlungen oder Wesen der Regenten archontikas), was, es muss gesagt werden, richtiger ist als das, was Gee von sich gab. Aber Nibley versuchte auch, die Erörterung der geheimen Verordnungen der Christen des Ignatius zum Thema zu machen, indem er ta epourania mit hohe Dinge übersetzte, anstatt richtiger mit himmlische Dinge (Hugh W. Nibley, The Message of the Joseph Smith Papyri: An Egyptian Endowment [Collected Works of Hugh Nibley 16; 2. Ausg.; herausg. von John Gee & Michael Rhodes, Illustrationen unter der Leitung von Michael P. Lyon; Provo, Utah; Deseret Book // Foundation for Ancient Research & Mormon Studies and Brigham Young University Press, 2005] 522. Dasselbe Material erschien auf S. 283 in der Originalausgabe von 1975 dieses Werkes). Gee übersetzt ta epourania mit celestialen Angelegenheiten, was annehmbar ist so lange er nicht versucht, jede vorstellbare Unterscheidung zwischen den Worten himmlische Dinge und celestiale Angelegenheiten auszubeuten, als eine Methode künstlichen Einschmuggelns, als einen Hinweis auf gegenwärtige HLT-Lehren. Gee und Nibley taten was sie konnten, bei einem Versuch bei Ignatius einen Hinweis auf das frühe Vorhandensein einer Art von disciplina arcana zu finden, dass geheime Verordnungen nur denen gegeben wurden, die würdig waren, um in diesem Fall eine Parallele zu den Lehren und Riten der modernen HLT-Kirche zu ziehen. Beide waren unglücklicherweise bereit, eine überspannte, weniger als angemessene Übersetzung ihrer Originalquellen zu produzieren, um es geschehen zu lassen.


Nibley zitiert
die erste Verteidigungsschrift des Justinus des Märtyrers falsch

 

Justinus der Märtyrer war ein christlicher Schriftsteller und Apologet, der während der mittleren Jahrzehnte des zweiten Jahrhundert n. Chr. tätig war. In seinem Aufsatz „The Expanding Gospel“ zitiert Nibley das zehnte Kapitel von Justinus Erster Verteidigungsschrift wie folgt:

 

„Wir glauben, dass Gott alle Dinge am Anfang aus ungeformter Materie organisierte“, sagt Justinus der Märtyrer zum Juden Trypho, „...um der menschlichen Rasse willen, dass sie, so sie sich durch ihre Werke als würdig Seines Planes erweisen, indem sie als würdig gerichtet worden sind, um in seine Gegenwart zurückzukehren (so glauben wir), mit ihm regieren werden, unsterblich und unverweslich gemacht. Bei der Schöpfung trafen sie selbst die Wahl... und so wurden sie als würdig erachtet, mit ihm in Unsterblichkeit zu leben.“15

 

Die ursprüngliche Form dieser Passage enthielt einige Dinge, die mit gegenwärtigen HLT-Lehren übereinstimmten; die Erschaffung von allem aus ungeformter Materie sei ein Beispiel.16 Dies war eine Anschauung, die in der antiken Welt umfassend geglaubt wurde, nicht zuletzt von allen Platonisten. Geht man aber davon aus, was Justinus an anderer Stelle sagt, so ist es zweifelhaft, dass er diese ungeformte Materie in irgendeinem Sinne als selbstexistent oder ewig ansah.17

 

Der eine Punkt in der obigen Passage von Nibley, der als Schlampigkeit angekreidet werden kann, ist die Erwähnung von Trypho, dem Juden, der im Zusammenhang mit einem weiteren Werk von Justinus (Dialogue mit Trypho) erscheint, aber nicht in diesem einen. In diesem Fall hatte Nibley wahrscheinlich einfach einen Erinnerungsfehler. Die übrigen Änderungen sind aber offensichtlich absichtlich.

 

Die schlimmste Änderung erscheint in Nibleys „Zitierung“ von Justinus (der dritte fett gedruckte Text), wo er eine Phrase einfügt, die tatsächlich nicht Justinus' war:

 

Bei der Schöpfung trafen sie selbst die Wahl.

 

Nibley fügt nicht nur seine eigenen Worte ein, sondern er unterschlägt seinen Lesern auch, was Justinus dort eigentlich sagte, nämlich: „Denn am Anfang erschuf Er uns, als es uns nicht gab“,18 eine Vorstellung, die nicht mit der HLT-Lehre von der Präexistenz übereinstimmt. Dass Nibley wusste, was der Grieche hier eigentlich sagte, wird aus der Tatsache deutlich, dass er dieselbe Passage von Justinus an anderer Stelle angemessener übersetzte. Nibleys Wiedergabe von Justinus' Worten lautet dort: „Denn auf dieselbe Weise, in der Er diejenigen erschuf, die es nicht gab.“19

 

Weniger radikal, aber immer noch problematisch, ist Nibleys Übersetzung von Justinus' griechischer Phrase tēs met' autou anastrophēs als ihn seine Gegenwart zurückkehren (der zweite fett gedruckte Text), eine Übersetzung, die an die HLT-Vorstellung von der Rückkehr zum Himmlischen Vater nach dem Tod erinnert, aber sie läuft entgegen Justinus' Textzusammenhang. Das Nomen anastrophē, das im Neuen Testament normaler Weise etwas wie Weg des Lebens oder Benehmen bedeutet, hat eine Reihe anderer möglicher Bedeutungen, einschließlich Verweilen oder Rückkehr. Die Tatsache, dass hier in Justinus das Wort von den Wörtern met' autou (das eher als mit ihm als mit zu ihm übersetzt werden sollte) begleitet wird, spricht gegen Nibleys Übersetzung und für die Wiedergabe mit ihm zu wohnen, was sowohl mit der Lesart des lateinischen Texts, der den griechischen Text begleitet, als auch mit allen englischen Übersetzungen, denen ich begegnet bin, übereinstimmt.21

 

Wenn wir Nibleys Wiedergabe von tēs met' autou anastrophēs (zweiter fett gedruckte Text) mit der Phrase kombinieren, die er erfand, um eine von Justinus zu ersetzen, ist das, was sich daraus ergibt, eine Nacherzählung vertrauter Mormonengeschichte von Entscheidungen, die in der vorirdischen Periode in Bezug auf das Annehmen oder Verwerfen des Plans der Erlösung getroffen wurden, der von Jesus vorgeschlagen und vom Himmlischen Vater gewählt und der Alternative bevorzugt wurde, die von Luzifer vorgetragen wurde (siehe Abraham 3 und Moses 4). Justinus kannte die Vorstellung von der Präexistenz der Seelen, aber er heißt sie nirgendwo gut, auch spekulierte er nie darüber, was präexistente Seelen gedacht, getan oder entschieden haben könnten. Und er schließt deutlich die Vorstellung aus, dass sie entweder unerschaffen oder ungezeugt waren.22


Fußnoten

[15] Hugh W. Nibley, „The Expanding Gospel“, in Nibley on the Timely and the Timeless (Provo, Utah: Religious Studies Center, 1978) 37. In diesem Kontext nennt Nibley nicht den griechischen Text, auf den er sich bezieht. Dieselbe Zitierung erscheint aber in Hugh W. Nibley, Temple and Cosmos (herausg. von Don E. Orton; Salt Lake City, Utah: Deseret // Provo, Utah: Foundation for Ancient Research and Mormon Studies, 1992) 198-199 (Infobase-Plus-Ausgabe). Dort wird die Quelle als PG ( Patrologia graeca) 6:340-341 angegeben.

 

[16] Siehe auch Justinus, 1 Apology 59. Eine weitere Stelle, wo Justinus' Originalpassage HLT-Lehren widerhallen lässt, befindet sich in seiner Betonung auf Würdigkeit.

 

[17] Wahrscheinlich glaubte Justinus, dass Gott zuerst Materie erschuf und sie dann später formte. (Könnte dies zum Beispiel die stillschweigende Folgerung aus Justins Worten in 2 Apology 6 sein, wo er sagt, dass der Vater durch Jesus „alle Dinge erschuf und ordnete [ektise kai ekosmēse]“. Solche eine Anschauung würde sich ergießen aus (1) Justinus' Beharren darauf, dass Gott der Vater allein ungezeugt ist (1 Apology 14 & Trypho 126) und (2) seiner Meinungsverschiedenheit mit Platonisten vor seiner Bekehrung, die sagten, „dass die Welt ebenfalls ungezeugt ist“ (Trypho 5) und (3) seine anscheinende Bejahung der Aussage: „das, was ungezeugt ist, ist ähnlich bis gleich und dasselbe wie das, was ungezeugt ist“ (Trypho 5). Siehe auch seine Bemerkung in Trypho 1, wo er auf diejenigen anspielt, die sagen, „dass die Seele als Folge ihrer Sterblichkeit nichts von Gott benötigt“. In Trypho 5 bestätigt Justinus, dass Seelen nicht tatsächlich unsterblich sind. (ET: Ante-Nicene Fathers 1).

 

[18] ET: Ante-Nicene Fathers 1: „On tropon gar tēn archēn ouk ontos epoiēse" (PG 6:341). Ich stelle Nibleys Übersetzung einer populären englischen Übersetzung dieser Passage gegenüber:

 

Nibley, Justinus 1 Apology 10

Justinus 1 Apology 10 (Ante-Nicene Fathers)

Bei der Schöpfung trafen sie selbst die Wahl...

Denn wie am Anfang erschuf Er uns, als es uns noch nicht gab, so betrachten wir in gleicher Weise diejenigen, die wählten, was Ihm gefällt, dass es ihrer Wahl zuzurechnen ist, und somit wurden sie als würdig erachtet, mit ihm in der Unsterblichkeit zu leben, als würdig der Unverderblichkeit und Gemeinschaft mit Ihm.

 

Müsste sich Nibley hier verteidigen, könnte er sagen, dass er einfach nur destillierte, was er für den Sinn der Passage hielt. Es gibt damit zwei Probleme: (1) selbst wenn dies der Fall wäre, hätte Nibley nicht akkurat Justinus' Gedanken herausdestilliert, und (2) präsentiert Nibley es als redliche Übersetzung. Nibley war sich der regelrechten Form bewusst, die für Zitierungen im Gegensatz zu Umschreibungen benutzt wird, wie es durch eine Fußnote in seinem World of the Prophets (Salt lake City, Utah: Deseret Book, 1974) 37 deutlich gemacht wird, die lautet: „Tertullian, De Spectaculis, 2, umschrieben“.

 

[19] Nibley, World and the Prophets, S. 206.

 

[20] Siehe PG 6:341-42: ut cum eo degant "dass sie ihm leben könnten.“ Die spezielle Ausgabe wird im Buch, das ich verwende, nicht erwähnt, aber sie wird im erneuten Druck desselben Artikels in Temple and Cosmos, S. 198-99 und Fußnote, angegeben.

 

[21] Z. B. übersetzt Thomas B. Falls „ihre Wohnung bei Ihm zu machen“ (Saint Justin Martyr [the Fathers of the Church 6; Washington D. C.: Catholic University Press of America, 19489]), Edward Rochie Hardy übersetzt „mit ihm wohnend“. (Early Christian Fathers [The Library of Christian Classics 1; herausg. von Cyril C. Richardson; Philadelphia: Westminster, 1953), Leslie William Bernard übersetzt es nicht (St. Justin Martyr: The First and Second Apologies [Ancient Christian Writers 56; New York/Mahwah, N. J.: Paulist, 1997])

 

[22] Siehe Justinus, Dialogue with Trypho 5 und 1 Apology 10.


Hugh Nibleys Missbrauch der Schriftrolle vom Toten Meer „Buch der Giganten“

 

Eines der bemerkenswertesten Beispiele von Nibleys Verstrickung in eine komplexe Folge von Verdunkelungen mit sorgfältiger Wortwahl, um grundlegend einen Text falsch darzustellen, während er seine wahre Bedeutung verdeckte, ist sein Versuch, eine Beziehung zwischen dem Buch Moses 6-7 der Köstlichen Perle und den Fragmenten des Buches der Giganten der Rollen vom Toten Meer auf der Grundlage eines angeblichen Kettenglieds zwischen des Mahijah in Moses 6:40 und Mahujah in Moses 7:2 und der Person Mahawai im Buch der Giganten herzustellen. Während Nibley hier den Fall inszeniert, zeigt er seine übliche Gewandtheit, indem er einen Namen mit einem anderen zusammenrauft, während er die beiden verschiedenen Bücher, das des Moses und das der Giganten, miteinander verschmelzt.23 Nibley setzt Passagen aus Moses 6 und 7 in eine Spalte und verschiedene Fragmente aus dem Buch der Giganten daneben in eine andere, wobei er hie und da innehält, um angebliche Berührungspunkte zu unterstreichen. In Wirklichkeit gibt es keine signifikanten Berührungspunkte zwischen den Geschichten, die in beiden Werken erzählt werden und Nibleys Klarstellungen täuschen einfach fremde Bedeutungen über den Text vor, die von dem widersprochen werden, was die Texte eigentlich sagen; und dies trotz der Tatsache, dass er damit beginnt: „Lassen Sie mich Ihnen einige parallele Passagen vorlesen, die der Übersetzung der Professoren Milik und Black folgen, so dass Sie nicht denken werden, dass ich den Würfel geladen habe, damit er so herum herauskommt.“24

 

Um zu verstehen, wie schlimm Nibley seine Quellen hier verdreht, müssen wir ein wenig Hintergrundwissen schaffen. Der Titel des Buches der Giganten wird von seinem Thema hergeleitet. Aber wer sind die Giganten? Die Geschichte basiert auf Genensis 6:2: „die Söhne Gottes sahen, dass die Töchter der Menschen schön waren; und sie nahmen alle, die sie wählten, zu Frauen.“ Einer sehr prominenten altertümlichen Strömung der Auslegung (in dessen Strom die Enoch-Literatur, einschließlich des Buches der Ginganten, floss) gemäß waren die Söhne Gottes in Genesis 6:2 gefallene regierende Engel, Wächter genannt, und die Töchter der Menschen, menschliche Frauen. Die Giganten waren die Nachkommen der unerlaubten Verbindung dieser beiden. Gemäß dieser Tradition wurde die Flut geschickt, um die Giganten zu ertränken, deren Geister dann als Dämonen auf der Erde verblieben. Gleichzeitig wurden die engelhaften Väter (die Wächter) unter der Erde angekettet, um auf das Gericht zu warten. Der biblische Hinweis in Judas 6: „Engel, die nicht ihren ersten Stand bewahrten, aber ihren eigenen Wohnsitz verließen, er hat sie in ewigen Ketten verwahrt, unter Finsternis bis zum Gericht des großen Tages“, bezieht sich wahrscheinlich auf diese Geschichte.25 Bruchstücke dieser selben Geschichte findet man in einer Vielzahl von antiken Quellen und sie ist Studierenden der Rollen vom Toten Meer wohl bekannt. In dem Abschnitt des Buches der Giganten, auf den sich Nibley bezieht, wird der Gigant Mahawai (Nibley nennt ihn MHWY) zu Enoch geschickt, um nach der Auslegung eines beängstigenden Traumes zu ersuchen, den einer der anderen Giganten hatte. Mahawai geht zu Enoch und sendet als Antwort einen Brief zu den Giganten und ihren Vätern, den gefallenen Engeln, zurück, um sie darüber zu informieren, dass es vor dem Gericht, dass bald über sie herfallen würde, kein Entkommen gibt. Im Folgenden befinden sich also Beispiele darüber, was die Bruchstücke des Buches der Giganten eigentlich sagen, gefolgt von dem, was Nibley bei dem Versuch daraus machte, Parallelen zwischen diesem und Moses der Köstlichen Perle zu „entdecken“.

 

  1. Das Buch der Giganten erzählt uns, dass Mahawai ein Gigant ist. Nibley beschreibt in als einen Menschen.26 In diesem Fall hat er buchstäblich zur Hälfte Recht: Giganten waren zur Hälfte menschlich.

  2. Das Buch der Giganten erzählt uns, dass die Giganten, beängstigt durch einen mysteriösen Traum, Mahawai aussandten, um die Auslegung „unter Schmerzen des Todes“ von Enoch zu erhalten. Nibley versucht, ein zusätzliches Element in die Geschichte einzuspritzen: „Dass MHWY 'unter Schmerzen des Todes' ausgesandt wurde, zeigt, dass nicht nur die Träume, sondern auch die Gegenwart Enochs eine Ursache der Furcht war.“27 Er tat dies, um mit der Furcht vor Enoch eine Parallele zu Moses 6:39 zu schaffen. In seinen Winter-1986-Vorlesungen über die Köstliche Perle ging Nibley sogar noch weiter mit dieser Absicht, indem er eine Zeile in dieser Passage des Buches der Giganten falsch restaurierte, so dass sie lautete: „Darüber erschraken all die Giganten und Nephilim [als sie von Enoch hörten].“28

  3. Das Buch der Giganten erzählt uns, dass Mahawai reiste, um Enoch zu finden.29 Nibley sagt, dass hier Enochs Reise, wie sie in Moses 6:42, 7:2-3 „auf MHWY selbst übertragen worden zu sein scheint“.30 Tatsächlich gibt es keine Verbindung zwischen den beiden Reisen, außer der nackten Tatsache, dass beides Reisen waren.

  4. Das Buch der Giganten erzählt uns, dass Enoch als Antwort auf Mahawais Frage einen Brief schreibt.31 Nibley sagt: „Es ist als Antwort auf Mahijah-MHWY, dass Enoch das Volk auf ein altertümliches Buch verweist, dass er mit sich trägt“, und er versucht somit, mit dem Verweis auf „ein Buch der Erinnerung“ in Moses 6:46, eine Parallele zu erzwingen. Aber es gibt keinen Verweis auf ein „altertümliches Buch“ in der Passage des Buches der Giganten. Ein weiteres Problem hier befindet sich in Nibleys Beschreibung der beabsichtigten Leser des Briefes Enochs: „Enoch verweist das Volk auf ein altertümliches Buch.“ Enoch richtete eigentlich den Brief nicht an das „Volk“, sondern an Shemihazah, einen Führer unter den gefallenen Engeln (Wächtern), und durch ihn an die Übrigen gefallenen Wächter und Giganten.

  5. Das Buch der Giganten nennt Mahawais Vater Baraq'el. Nibley bemerkt: „Der Baraq'el ist interessant in diesem Zusammenhang, da Joseph Smith in Lehre und Bündnisse sowohl als Enoch als auch als Baurak Ale bezeichnet wurde (z. B. LuB 78:9; 103:21-22).“ Die ungewöhnliche Bezeichnung Josephs als Enoch und Baurak Ale wurde aus der Ausgabe von 1981 der LuB fallen gelassen. In seinem Köstliche-Perle-Kursus von 1986 führte Nibley dies ein wenig weiter aus: „Baraq'el ist ebenfalls interessant, weil Baraq'el angeblich der Vater Enochs ist.“32 Der Vater Enochs in der Bibel und des Buches Moses ist Jared (Gen. 5:9 und Moses 6:21). Mahawai, der Gigant, ist nicht Enoch, auch ist Baraq'el, der Vater Mahawais im Buch der Giganten, wie man es auch hinbiegen möchte, nicht der Vater Enochs. Er ist eine böse Figur, einer der Oberhäupter der gefallenen Engel.33

  6. Das Buch der Giganten erzählt uns, dass der Brief Enochs die Verbindungen der gefallenen Engel und den menschlichen Frauen als „Prostitution“ beschreibt.34 In einem Versuch, diese Passage mit dem allgemeinen Hinweis auf Adams Kinder als „in Sünde empfangen“ in Moses 6:55 zu verknüpfen, gibt Nibley folgende merkwürdige Beschreibung von dem, was angeblich vor sich ging:35

 

Enoch erzählt, wie der Herr Adam von der natürlichen Neigung zur Sünde, die mit dem Fall kam, erzählte. Dies wird in der aramäischen Version zur Brandmarkung des bösen Volkes in den Tagen Enochs umgekehrt, die in der Tat ihre Kinder in Sünde empfingen, da sie unrechtmäßige Nachkommen einer total unmoralischen Gesellschaft waren.

 

    Beachten Sie das Fehlen jeden Hinweises auf gefallene Engel, ihre menschlichen Frauen oder ihrer gigantischen Nachkommen. Sie werden allesamt als „Volk“ und „unrechtmäßige Nachkommen einer total unmoralischen Gesellschaft“ beschrieben. Nibley scheint zu versuchen, die wahre Natur der Geschichte zu verdunkeln.

  1. Das Buch der Giganten lässt den Giganten Ohyha (wenn Miliks Restauration korrekt ist) seinen Angriff auf „alles Fleisch“ beschreiben. Nibley stellt diese Passage vor, indem er Ohyah als „Feind Enochs“ bezeichnet.36 Er tut dies, um eine Parallele zwischen dieser Passage und Moses 7:13 zu schaffen. Er fasst zusammen, was er in beiden Passagen vor sich gehen sieht, indem er sagt: „die Bösen bewegen sich gegen Enoch und sein Volk als Streitmacht, aber sind selbst gezwungen, die überlegene Macht anzuerkennen, die den Patriarchen unterstützt.“ Aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass Ohyah als „ein Feind Enochs“ in Aktion tritt. Auch gibt es, soweit Milik und Black enthüllen, in diesem bestimmten Fragment überhaupt keine Erwähnung von Enoch.37 Hier benutzt Enoch Auslassungspunkte, um künstlich das Zitat mit der gewünschten Bedeutung auszustatten:

 

Von 4QEnGiantsc

4QEnGiantsc (wie von Nibley zitiert)

Durch die Stärke meiner Macht [hatte ich] alles Fleisch [angegriffen] und ich habe mit ihnen Krieg geführt. Aber [ich] nicht [...und] ich finde nicht meine Unterstützung(?), um (mich) zu stärken, denn meine Ankläger[...] sie wohnen im [Himmel] und sie leben in heiligen Wohnungen und [ich werde meine Sache(?)] nicht gewinnen, denn sie sind mächtiger als ich38

Durch die Stärke meiner Macht [hatte ich] alles Fleisch [angegriffen] und ich habe mit ihnen Krieg geführt;...

 

sie leben in heiligen Wohnungen und...

 

sie sind mächtiger als ich (Nibleys Kursivschrift)

 

Nibleys Auslassungspunkte erwecken den Anschein, dass Ohyah gegen diejenigen Krieg führte, die in heiligen Wohnungen lebten (vermutlich wollte er, dass der Leser an Enoch denkt). Dies ist nicht der Fall. Ohyah führte Krieg gegen „alles Fleisch“, aber seine Ankläger repräsentieren eine andere Gruppe, eine Gruppe, die im Himmel und in heiligen Wohnungen lebt. Beachten sie ebenso, dass Nibley die Giganten wieder „Volk“ nennt. Das Thema der Giganten, die blutdürstig wurden und die Menschheit angriffen und sie sogar aßen, war in antiker jüdischer Literatur gewöhnlich (vgl.. Enoch 7:16; 9:10; Leptogenesis 7:21-24).

 

All die angeblichen Parallelen zwischen dem Buch der Giganten und dem Buch Moses existieren nur in Nibleys Kopf. Und er wählt sorgsam seine Sprache, um die wahre Bedeutung der Fragmente des Buches der Giganten vor den Lesern zu verbergen.

 
Fußnoten

[23] Hugh W. Nibley, „Churches in the Wilderness“, in The Prophetic Book of Mormon (The Collected Works of Hugh Nibley 8; Salt Lake City, Utah: Deseret Book // Provo, Utah: Foundation for Ancient Research and Mormon Studies, 1989) 289-90.

 

[24] Ebd., S. 291. Nibley bezieht sich auf The Books of Enoch: Aramaic Fragments of Qumran Cave 4 (herausg. von J. T. Milik in Zusammenarbeit mit Matthew Black; Oxford: Bei der Clarendon Press, 1976). Eine weniger vollendete Version derselben Präsentation erscheint in Hugh W. Nibley, „A Strange thing in the Land," in Enoch the Prophet (The Collected Works of Hugh Nibley 2; herausg. von Stephen D. Ricks; Salt Lake City, Utah: Deseret Book // Provo, Utah: Foundation for Ancient Research & Mormon Studies, 1986) 277-81. Dort bemerkt Nibley ähnlich: „Die folgende Übersetzung ist von Milik und Black, damit der Schreiber nicht beschuldigt wird, den Text forciert zu haben.“ (S. 278)

 

[25] Mehr über diese Geschichte in Bezug auf das Buch der Giganten und andere frühe Texte finden Sie in meinem „Noah and the Giants: A Response to John C. Reeves," Journal of Biblical Literature 114.1 (Frühjahr 1995) 103-19.

 

[26] Nibley, "Churches in the Wilderness," in The Prophetic Book of Mormon, S. 291.

 

[27] Ebenda.

 

[28] Hugh W. Nibley, Teachings of the Pearl of Great Price: Transcripts of lectures presented to an Honors Pearl of Great Price Class at Brigham Young University, Winter Semester 1986 (Provo, Utah: Foundation for Ancient Research & Mormon Studies [FARMS], n.d.) 21:12. In der Lektion bezieht sich Nibley auf die Passage, als käme sie von 4QEnoch. Der richtige Quellenverweis ist 4QEnGiantsb 1.20. Man sollte im Sinn behalten, dass diese Aussage im beiläufigen Kontext einer Lektion gamacht wurde und nicht in einem kontrollierterem Stück veröffentlichter Literatur. Es ist sehr einfach, wenn man beiläufig redet, dass etwas nicht genau auf eine Weise herauskommt, wie man es zu sagen beabsichtigte.

 

[29] Milik & Black, Books of Enoch, S. 305-306.

 

[30] Nibley, "Churches in the Wilderness," in The Prophetic Book of Mormon, S. 292.

 

[31] Milik & Black, Books of Enoch, S. 314-16.

 

[32] Nibley, Teachings of the Pearl of Great Price, 21:12.

 

[33] Milik & Black, Books of Enoch, S. 153, 311.

 

[34] Ebenda. S. 315.

 

[35] Nibley, "Churches in the Wilderness," in The Prophetic Book of Mormon, S. 292-93.

 

[36] Ebenda, S. 294.

 

[37] Milik & Black, Books of Enoch, S. 307-308.

 

[38] Ebenda, S. 308.

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